Zweiklassenrecht ? – Wird der Rechtsstaat demontiert?

geschrieben von Peter Christian Nowak in unserer gelöschten Internetseite 2007 und aktueller als damals

Plädoyer für den unabhängigen Staatsanwalt

Es ist allgemein anerkannt, dass die Strafrechtsprechung nur durch unabhängige, von politischen Einflüssen freie Richter und Richterinnen wahrgenommen werden kann, werden sollte. Aus den gleichen Gründen kann eine effektive Strafverfolgung nur durch unabhängige Staatsanwälte und Staatsanwältinnen stattfinden. Die Staatsanwälte entscheiden allein über den Anfangsverdacht: Soll ein Ereignis mit einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren aufgeklärt werden oder soll es auf sich beruhen?
Es muß ein hinreichender Tatverdacht bestehen, erst recht bei Inhaftnahme: Sollen die Gerichte den Fall einer Entscheidung zuführen oder wird das Verfahren eingestellt?
Die Frage nach einer möglichen Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Auflagen oder ohne Auflagen. Damit entscheiden sie insgesamt 60 % bis 70 % aller Fälle abschließend, ohne dass Gerichte mit ihnen befasst werden. So weit so gut.

Für die übrigen Fälle sollten sie (die Staatsanwaltschaften) unbeeinflußt von öffentlichen Medien oder politischen Interessengruppen, die sich im Sinne eines ausgeprägten wirtschaftlichen wie politischen Interesses einsetzen, entscheiden, ob Anklage erhoben und damit ein öffentliches Gerichtsverfahren durchgeführt oder ob die Sache mit Strafbefehl schriftlich erledigt werden soll.

Im Fall Heise liegt zumindest ein begründeter Anfangsverdacht vor, daß die Anordnung der Untersuchungshaft im Zusammenhang mit einem politischen wie wirtschaftlichen Interesse (Pfizer) zu sehen ist, und nicht eine vorhersehbare, eventuelle Fluchtgefahr. Ob hier die Staatsanwaltschaft in ausreichendem Maße völlig unabhängig agiert darf insofern angezweifelt werden, wenn u.U. andere Interessen eine Rolle spielen und zur Inhaftierung Heises geführt haben.

Das Düsseldorfer Urteil im Mannesmann- bzw. Vodafoneprozess ist hierzu dementsprechend durchaus(!) exemplarisch; und es wurde erst gar kein Hehl daraus gemacht, daß sich Anklage wie Verteidigung zur Urteilsfindung in Richtung eines milden Urteils geeinigt haben. So ist gegenwärtig die Rechtsprechung in Deutschland. Und das geht gegen das populäre Rechtsempfinden. Dafür muß man Verständnis haben, dafür habe ich Verständnis.

Im „Lustreisen und Nobelhuren-Prozess“ im Kontext des VW-Skandals gegen Peter Hartz kann man einen ähnlichen Ausgang der Urteilsfindung und eine identische Handhabung deutscher Rechtsstaatlichkeit beobachten.

Die Staatsanwaltschaft sollte Frühwarnsystem für gesellschaftliche Fehlentwicklungen (z. B. rechte Gewalt, Korruption im öffentlichen Dienst, Menschenhandel), versagt aber gerade bei dieser Aufgabe.

Die Staatsanwälte sollten darüber wachen, dass die Polizei als Teil der Exekutive bei ihren Ermittlungen die Rechte der Bürger wahrt. Sie sollten ebenso auch darüber wachen, ob die Exekutive sich an die Strafgesetze hält.
Es ist widersinnig, dass der Justizminister/in, selbst ein Teil der Exekutive, mit Hilfe des Weisungsrechts den Wächter überwacht. Es steht zu vermuten, daß in beiden oben genannten Fällen massiv vom „Weisungsrecht“ und dem Einfluß politischer wie wirtschaftlicher Honoratioren (Lobbyisten) Gebrauch gemacht worden ist.

Und im negativen Sinne eben auch im Fall Heise, was die Unverhältnismäßigkeit der Anordnung des Haftrichters einer Untersuchungshaft im Fall Heise betrifft. Um das zu überprüfen, müsste man Einsicht in die Akten des Ermittlungsrichters bekommen: ob die Schwere der Schuld so hinreichend ist, daß eine Annahme der Fluchtgefahr gerechtfertigt ist. Denn nur wenn hieb- und stichfeste Anzeichen einer Fluchtgefahr bestehen, der Angeklagte sich also mit Sicherheit eines Strafprozesses entziehen will, kann U-Haft angeordnet werden. Meiner Einsicht nach war dies im Fall Heise nicht ausreichend begründet. Dann schon eher im Fall Ackermann und Hartz und Co.

Die Gerichte und die Staatsanwaltschaften sind in gleicher Weise dafür verantwortlich, dass sich der Geltungswille und der Geist des Rechts in allen Abschnitten des Verfahrens behaupten und alle aus dem Bereich der politischen wie wirtschaftlichen Macht kommenden, die Sache der Justiz störenden Einflüsse abgewehrt werden.

Daran sollte, daran muß sich Gerechtigkeit im Sinne der Rechtskultur eines demokratischen Rechtsstaates messen lassen.

Die Staatsanwaltschaft ist nicht Recht sprechende Gewalt in dem Sinn, dass sie in einem kontradiktorischen Verfahren Konflikte auch gegen den Willen der Beteiligten rechtskräftig beendet. Aber sie filtert, kanalisiert und steuert die Konflikte, die überhaupt vor den Strafgerichten zur Entscheidung kommen. Die übrigen beendet sie selbst. Deshalb übt sie Recht sprechende Gewalt aus und ist damit Teil der Judikative.

Das Mittel, mit welchem das Grundgesetz die Gerichte befähigt, die aus dem Bereich der Macht kommenden (Partikularinteressen aus Wirtschaft und Politik) und die Justiz störenden Einflüsse abwehrt, ist die Unabhängigkeit. Mittel dieser Art fehlen der Staatsanwaltschaft. Weil sie so intensiv an der Strafrechtspflege teil hat, müssen – damit die Recht sprechende Gewalt ihre Aufgabe erfüllen kann – die Staatsanwälte so unabhängig werden wie die Richter.

Schon die deutsche bürgerliche Freiheitsbewegung im 19ten Jahrhundert forderte einen unabhängigen Staatsanwaltals „Richter im Vorverfahren“.
Im europäischen Vergleich hinkt das Amtsrecht der Staatsanwälte in Deutschland hinterher.

In Frankreich und in der Schweiz wird die Strafverfolgung maßgeblich von unabhängigen Untersuchungsrichtern gestaltet. In Portugal und Italien sind die Staatsanwälte noch unabhängiger als bei uns die Richter.

Der Europarat nimmt es hin, dass seine einzelnen Mitgliedsstaaten teils unabhängige, teils abhängige Staatsanwaltschaften haben.
Auch im Fall einer von der Exekutive abhängigen Staatsanwaltschaft müsse aber auch sichergestellt sein, „dass die Staatsanwaltschaft ohne jede Behinderung wegen aller Straftaten gegen diejenigen ermitteln könne, die für den Staat handeln, insbesondere wegen Korruption, Amtsmissbrauch, offensichtlicher Verletzung der Menschenrechte und wegen Verstoß gegen das Völkerstrafrecht.“:
Die unabhängige Staatsanwaltschaft bedarf des unabhängigen, einem Richter gleichen Staatsanwaltes. Dementsprechend sind sowohl Änderungen des Grundgesetzes (Art. 92, 97) als auch Änderungen dort notwendig, wo der Staatsanwalt als Beamter definiert ist (GVG, StPO, StGB etc.).
Zudem bedarf es der Abkoppelung der Staatsanwaltschaft von der Exekutive (Abschaffung des externen Weisungsrechts) und der Neugestaltung des internen Weisungsrechts (Weisungsrecht der Präsidien) teilweise durch Abänderung und teilweise durch Streichung der §§ 145 – 148 GVG.
Recommondation REC (2000) 19, Ziff. 16 des Europarates

Es kann keine Rede davon sein, dass diese Forderung in Deutschland erfüllt ist. Das (externe) Weisungsrecht der Justizminister steht dem entgegen. Ausgehend von dem Ziel einer unabhängigen Staatsanwaltschaft beschreibt die Neue Richtervereinigung(NRV) in der Folge ein Modell, das durch Änderungen des Grundgesetzes von Gesetzen und einzelnen Rechtsverordnungen nicht nur in sich geschlossen, sondern auch mit dem NRV-Modell eines „Gemeinsamen Justizkorps“ kompatibel ist.

Ob im Fall Heise „übergeordnete Interessen“ zur Inhaftnahme geführt haben, wird sich im Verlauf der Anklage noch herausstellen (hoffe ich jedenfalls).

Recht muß Recht bleiben. Aber das darf sich nicht nach der Höhe des Bankkontos oder vorgeblichen Reputation von Angeklagten richten – wie im Fall Ackermann/Esser, Hartz, Kanther und Dr. Helmut Kohl geschehen.

Sonst verliert dieser Staat seine demokratische Legitimation. Und am Ende haben wir einen Torso infolge eines demontierten Rechtsstaates.


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